Bereits seit einigen Jahren lassen sich in Staaten in Afrika und Südasien Trends hin zur Online-Bildung erkennen – und das trotz anhaltender technologischer Barrieren. Warum das so ist, welche Potentiale offene Bildung für sozio-ökonomische schwache Regionen bergen und wie Herausforderungen dabei überwunden werden können, zeigen wir in diesem Beitrag.
Viele Staaten in Afrika südlich der Sahara (SSA) und einige Regionen in Südasien können aufgrund sozialer und ökonomischer Indikatoren wie geringem Einkommen, stark ungleiche Wohn- und Eigentumsverhältnissen sowie mangelhafter Schul-, Aus- oder Weiterbildungsmöglichkeiten als sozio-ökonomisch geschwächt bezeichnet werden. Nach Schätzungen der UNESCO nahm 2016 weltweit eines von fünf Kindern an keiner Form von Bildung teil. Fast alle dieser Kinder im Alter von 6 bis 17 Jahren lebten in Entwicklungsländern. Diese Krise könnte sich noch verschärfen, denn es wird erwartet, dass sich die Jugendbevölkerung Afrikas bis 2050 auf 830 Millionen Menschen verdoppeln wird. Die Bildungssysteme in diesen Entwicklungsregionen können das oft nicht auffangen, denn es werden nur wenige Ressourcen für Bildung bereitgestellt. Vor diesem Hintergrund gewinnt offene und digitale Bildung als Maßnahme für einen niedrigschwelligeren Zugang zu Bildung stetig an Relevanz.
Eine Frage des Geldes
Der Bau von Schulen und Universitäten nützt langfristig wenig, wenn die Regierungen deren Instandhaltung und laufende Kosten nicht tragen können. Viele Bildungssysteme in Enwticklungsregionen sind bereits chronisch unterfinanziert – eine Situation, die sich weiter zuspitzen kann, wenn die Systeme expandieren und immer teurer in der Verwaltung werden. Finanzierungsprobleme sind in SSA allgegenwärtig, obwohl die Regierungen im internationalen Vergleich relativ große Teile ihres Haushalts für Bildungszwecke ausgeben. Regierungen in einkommensschwachen Ländern sehen in offener und digitaler Bildung zunehmend eine Möglichkeit, Kapazitätslücken zu schließen. Denn verglichen mit dem Bau neuer Einrichtungen in Form von Ziegelsteinen und Mauern stellt digitales Lernen in Form von digitalen Engeräten und kostenfreien Anwendungen eine flexible und effizientere Alternative dar. Inwiefern diese Alternative auch didaktisch sinnvoll ist, bleibt offen, aus bildungsökonomischer Sicht ist digitale und offene Bildung in Entwicklungsländern jedoch sicherlich vielversprechend.
Smartphone-Verbot hier, mobiler Unterricht dort
Was die digitale und offene Bildung in SSA und Südasien zunehmend attraktiver macht, ist die Flexibilität der Bildungssysteme: Es müssen im Gegensatz zu westeuropäischen Bildungssystemen keine historisch entwickelten Strukturen umgewälzt werden. Allerdings besteht in diesen verhältnismäßig jungen Bildungsstrukturen die Herausoforderung, Schule als zentralen Ort verpflichtender Bildung zu etablieren und die Quote der Bildungsabschlüsse zu steigern. Die ist derzeit nicht einmal annähernd im Bereich von Europa und Nordamerika. Digitaler Unterricht könnte hier der Schlüssel zu sein, allerdings wird in vielen Entwicklungsregionen die Teilnahme an Online-Bildungsformaten immer noch durch technologische Infrastrukturbarrieren behindert. Diese digitale Kluft ist besonders in Afrika eine Hürde, denn hier liegt die Internetdurchdringung immer noch weit hinter anderen Weltregionen zurück. Nur 18 Prozent der Haushalte auf dem Kontinent verfügten 2017 über einen Internetanschluss in ihrem Haus, verglichen mit 84,2 Prozent in Europa. Es ist jedoch zu beachten, dass die Internetdurchdringung in Afrika je nach Staat und Region unterschiedlich ist: Während die Mehrheit der städtischen Afrikaner inzwischen über mobile Geräte und Zugang zu mobilem Breitbandinternet verfügt, haben viele Menschen in abgelegenen ländlichen Gebieten keinen privaten Zugang und müssen das Internet in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Universitäten und Internet-Kiosken nutzen, die über Satellitenterminals verbunden sind und oft mit Solarstrom betrieben werden. Die rasche Verbreitung von Smartphones hat jedoch in den letzten Jahren dazu geführt, dass digitales Lernen zu einem wesentlich attraktiveren Angebot geworden ist. Die mobile Breitbandtechnologie dringt schnell auch in abgelegene ländliche Regionen vor und ermöglicht den Menschen dort einen Internetzugang. So ist „m-learning“ unter Verwendung von Mobiltelefonen zu einer gängigen Unterrichtsform in sozio-ökonomisch schwachen Gesellschaftsschichten in SSA geworden.
Erwachsenenbildung leicht gemacht
Offener Fernunterricht (Open Distance Learning, kurz: ODL) wird schon seit geraumer Zeit als Mittel zur Ausweitung des Zugangs verfolgt. ODL-Universitäten bieten integrative, bedarfsgerechte Bildung. Sie gelten allgemein als wirksames Instrument der sozialen Entwicklung und werden von Organisationen wie der UNESCO unterstützt. Was die meisten von ihnen gemeinsam haben, sind ihre im Vergleich zu anderen Hochschulen relativ niedrigen Zulassungsstandards. Die meisten, aber nicht alle, erheben Studiengebühren für ihre Programme, die von kurzfristigen Diplom- und Zertifikatskursen bis hin zu vollwertigen Bachelor-, Master- und Doktorandenprogrammen reichen. Viele ODL-Einrichtungen verfolgen ein Blended-Learning-Modell, das verschiedene Formen der Fernlehre mit Nachhilfeunterricht in Studienzentren kombiniert, die den Studierenden auch Zugang zu Bibliotheken, Computern und Videokonferenzeinrichtungen bieten. Flexible Zeitpläne ermöglichen es sowohl Erststudenten als auch berufstätigen Erwachsenen, sich weiterzubilden, selbst in abgelegenen, unterversorgten Regionen. Darüber hinaus werden Spitzenforschungsuniversitäten in Afrika in der Lage sein, Kosten zu teilen und Ressourcen zu bündeln, indem sie Tools wie gemeinsame digitale Bibliotheken und digitale Kommunikationseinrichtungen nutzen, die dazu beitragen werden, Institutionen auf dem gesamten Kontinent in transnationalen Forschungsclustern zu verbinden.
Ist teuer gleich gut?
ODL wird oft als minderwertig abgetan und als Gegensatz zu teuren Privathochschulen gesehen. Offene Universitäten wurden jedoch nicht als Zentren akademischer Exzellenz konzipiert. Sie wurden vielmehr entwickelt, um Bildung für die breite Masse zu niedrigen Betriebskosten zu ermöglichen. ODL ist keine Lösung für die Schaffung von Bildungssystemen der Weltklasse, aber er spielt eine wichtige Rolle für den Zugang zu Millionen von Studieninteressierten und ist zu einem festen Bestandteil vieler Bildungssysteme geworden. Es muss jedoch eingeräumt werden, dass die Qualität der Anbieter von Fernunterricht im Allgemeinen sehr unterschiedlich ist. Deshalb braucht es Stellen, die ODL-Einrichtungen prüfen – und auch diese gibt es (in kleiner Anzahl) bereits. Es wäre deshalb ein Fehler, alle ODL-Einrichtungen als minderwertig abzutun.
Der goldene Mittelweg
In Entwicklungsländern reicht die Bereitstellung von Technologie und digitalen Inhalten allein sicherlich nicht aus, um Schüler:innen für digitales Lernen zu motivieren. Hybride Ansätze sind vielleicht das vielversprechendste und qualitativ hochwertigste Modell. In Zukunft werden Pädagog:innen und politische Entscheidungstragende überprüfen müssen, wie Online-Lernen am besten konzeptualisiert und eingesetzt wird, wie die Bereitstellung und der Inhalt von Online-Kursen verbessert und sie gleichzeitig interaktiver und relevanter für den lokalen Kontext gemacht werden kann. Denn die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die folgenden Generationen, die mit mobilen Geräten aufgewachsen sind und einen großen Teil ihrer sozialen Interaktionen online abwickeln, der digitalen Bildung gegenüber aufgeschlossener sein werden.
Best Practice
Die meisten Regierungen in Afrika verfolgen inzwischen eine Politik, die die Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und digitalem Lernen fördert. Die kenianische Regierung beispielsweise startete 2016 ein Programm für digitales Lernen, um die Grundschulbildung zu digitalisieren. Bis März 2018 wurden mehr als eine Million Laptops und Tablets mit interaktiven digitalen Inhalten an 19.000 öffentliche Schulen geliefert. Darüber hinaus gibt es einige ambitionierte Projekte, die den Zugang zu Bildung fördern:
1. OER Africa ist eine Initiative, die vom South African Institute for Distance Education ins Leben gerufen wurde. Sie operiert in ganz Afrika und spielt eine führende Rolle bei der Unterstützung von Hochschuleinrichtungen bei der Entwicklung und Nutzung von Open Educational Resources (OER) zur Verbesserung von Lehre und Lernen. Weitere OER-Organisationen und Projekte hat OER Africa hier zusammengestellt.
2. “Skills for a Changing World” zielt darauf ab, Bildungsmöglichkeiten für diejenigen zu schaffen, die derzeit von der nachschulischen Bildung ausgeschlossen sind, und zwar sowohl auf der Ebene der allgemeinen und beruflichen Bildung als auch auf der Ebene der Hochschulbildung. Neben der Vorbereitung auf ein weiterführendes Studium zielt das Programm auch darauf ab, die Studierenden auf die Arbeitswelt vorzubereiten, indem es sich auf die Entwicklung allgemeiner Fähigkeiten konzentriert, die für ein erfolgreiches Arbeiten in der heutigen Wirtschaft unerlässlich sind.
3. „African Storybook“ stellt freier Zugang zu Bilderbüchern in den Sprachen Afrikas zur Förderung der Lese- und Schreibfähigkeit, der Freude und der Fantasie der Kinder.
In a nutshell
E-Learning hat zweifellos eine Reihe von Vorteilen gegenüber dem Lernen vor Ort: Es entfallen die Kosten für gedrucktes Lehrmaterial und die Notwendigkeit einer physischen Infrastruktur, sodass es auch in Regionen angeboten werden kann, in denen eine solche Infrastruktur nicht vorhanden ist. Dadurch können nicht nur die Kosten für die akademischen Einrichtungen gesenkt werden, sondern auch für die Studierenden, die oft weite Wege zu Schulen und Universitäten in Regionen wie SSA zurücklegen müssen. Online-Unterrichtszeiten sind in der Regel flexibel, und die Kursmaterialien sind jederzeit zugänglich, was das Studium z.B. für berufstätige Erwachsene erleichtert. Digitale Bibliotheken bieten Zugang zu Literatur, wo es keine physischen Bibliotheken gibt. Entscheidend ist, dass E-Learning nicht durch die Größe physischer Klassenzimmer begrenzt ist – Online-Kurse können von einer unbegrenzten Anzahl von Studierenden rund um den Globus besucht werden. Da der Zugang zu Elektrizität und Breitbandinternet zunimmt, wird die Online-Bildung schnell für ein immer größeres Publikum zugänglich werden. Und die Verteilung von preiswerten Tablets an Studenten ist immer noch billiger als der Aufbau von Einrichtungen in Form von Gebäuden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass akademische Einrichtungen und Regierungen in SSA und Südasien zunehmend das Online-Lernen als vergleichsweise kostengünstige Investition in die Entwicklung des Humankapitals fördern. Des Weiteren helfen offene Bildungsangebote den Zugang zu Bildung trotz Bedenken hinsichtlich der Bildungsqualität und der sozialen Gleichheit zu verbessern. Sie werden als rationelles, kosteneffizientes Mittel zur Erweiterung der Bildungschancen wahrgenommen. Trotz anhaltender technologischer Hindernisse übernehmen Regierungen und akademische Einrichtungen in SSA zügig digitale Lernmodelle. In Anbetracht der aktuellen Entwicklungen und Trends kann davon ausgeganen werden, dass die digitale und die offene Bildung in diesen Regionen zunehmend Einzug finden wird.
Quellen: