Zu Risiken und Nebenwirkungen: (Heraus-)Forderungen der Wirkungsforschung zu OER

Vor dem Hintergrund zeitgemäßer Bildung und steigender Schulbuchkosten nimmt die Diskussion um Open Educational Resources (OER) weiter Fahrt auf (Heimstädt & Dobusch 2017). OER sind offen lizenzierte sowie frei nutz-, veränder- und teilbare Bildungsmaterialien wie z.B. Arbeitsblätter oder auch Lernvideos. Lehrende und Lernende können kostenlos darauf zugreifen und die bereits erstellten und geteilten Materialien Anderer nutzen, ohne jedes Mal das Rad neu erfinden zu müssen oder das Urheberrecht zu verletzen (vgl. OERinfo). So die Idee. 

Doch die politischen und strukturellen Rahmenbedingungen für den Einsatz von OER sind noch stark ausbaufähig (Orr, Neumann & Muuß-Merholz 2017). Ein Grund könnte darin liegen, dass empirische Untersuchungen zu offenen Bildungsmaterialien im deutschsprachigen Raum nur geringfügig vorhanden sind und primär Beschreibungen des Ist-Zustands oder Zusammenhänge umfassen (Bellinger und Mayrberger 2019; Lechtenbörger 2019; Otto 2020b, 2019). Wo bleiben also Forschungsergebnisse zu den Wirkungen von OER? 

Einmal doppelten Idealismus, bitte!

OER wurden im Laufe der letzten Jahre etliche Wirkungen zugeschrieben: Sie sollen Inklusion und Bildungsgerechtigkeit fördern (Otto 2020 a; UNESCO 2013), Kosten verringern sowie Lehrkräfte entlasten (Krug 2019; Bliss, Hilton, Wiley & Thanos 2013). Bisher liegt aber nur wenig empirisches Wissen über OER vor und somit ist nicht hinreichend nachweisbar, dass OER eine tragfähige Lösung für die aktuellen Herausforderungen im Bildungsbereich sind. Als Konzept werden OER deswegen oft genug als idealistische Wunschvorstellung abgetan. 

Wirkungsforschung kann an dieser Stelle ein Instrument sein, um Steuerungswissen zu generieren, evidenzbasierte Forderungen an die (Bildungs-)Politik stellen zu können, auf dieser Grundlage Maßnahmen zu entwickeln und Anreize zu schaffen (Albus & Ziegler 2013; van Akeren, Zlatkin-Troitschanskaia, Binnewies, Clausen, Dormann, Preisendörfer, Rosenbusch & Schmidt 2011). Jetzt sind wir alle überzeugt, oder? Leider funktioniert es in der Praxis nicht ganz so. 

Wirkungsforschung wird im wissenschaftlichen Diskurs teilweise als “positivistisch” bezeichnet (Albus & Ziegler 2013). Es schwingt mit, dass sie gern überschätzt und der Nutzen für die Praxis idealisiert wird. Im worst case werden die Ergebnisse gar nicht genutzt, Graebsch (2018) hat das im Kontext von Wirkungsforschung in der Sozialpädagogik etwas bitter mit “Who cares?” zusammengefasst. Wie kann Wirkungsforschung zu OER also aussehen? 

Die große Blackbox

Wirkungsforschung geht in den meisten Fällen der Frage nach, welches Vorgehen am effektivsten ist, also die höchste Wahrscheinlichkeit hat, ein vorab bestimmtes Ziel zu erreichen (Sager, Hadorn, Balthasar & Mavrot 2021; Zeuner & Pabst 2020; Albus & Ziegler 2013). In der Medizin werden klassischerweise zwei Gruppen verglichen: Eine Gruppe bekommt ein Medikament, die andere ein Placebo. Die Teilnehmenden wissen nicht, ob sie das Medikament oder ein Placebo bekommen und die Wirkungen werden schließlich miteinander verglichen. So lassen sich Aussagen dazu tätigen, welche Wirkung durch welche Medikamentendosis hervorgerufen wird und wie groß diese Wirkung ist. Aber wie “verabreichen” wir OER und ein entsprechendes Placebo? 

Wir bewegen uns mit OER in den Bildungswissenschaften, hier können beispielsweise die Zufriedenheit von Lehrkräften und Schüler:innen, der Lern- und der Transfererfolg,  Kosteneinsparungen im Bildungssektor oder bessere Schulnoten als vorab bestimmtes Ziel untersucht werden. 

Schwierig daran ist, die Wirkungen von OER in einem komplexen Gefüge wie Schule eindeutig zu identifizieren (Zeuner & Pabst 2020). Denn die Rahmenbedingungen in Bildungskontexten (vgl. Rahmenmodelle in Gerecht, Steinert, Klieme & Döbrich 2007) sind Einflussfaktoren, die aufwändig durch statistische Verfahren herausgefiltert werden müssen (Kontrollvariablen), um die Wirkungen auf das vorab bestimmte Ziel OER zuordnen zu können. Hier sprechen wir nicht von nachvollziehbaren biochemischen Reaktionen, sondern von sozialen, emotionalen, kognitiven und kommunikativen Prozessen. Dazu kommt die Herausforderung, dass Aspekte von OER in der Bildungspraxis umgesetzt werden, allerdings ohne, dass die Lehrkräfte ihr Handeln als “OER” labeln, da ihnen der Begriff nicht bekannt ist (Bretschneider, Muuß-Merholz & Schaumburg 2012). Für einige der zugeschriebenen Wirkungen von OER sind demnach keine validen Aussagen zu Ursache und Wirkung möglich, da die Wechselwirkungen zu komplex sind. Was sollen wir jetzt also tun? 

Keine Forschung ist auch keine Lösung 

Insgesamt sind OER ein verhältnismäßig junges Forschungsthema, immerhin werden sie erst seit den frühen 2000er Jahren als solche diskutiert und erforscht (Armellini & Nie 2013). Das Erkenntnisinteresse ist groß – besonders wegen der vielen zugeschriebenen Wirkungen. Doch um ergiebige Erkenntnisse zu gewinnen und Antworten zu finden, brauchen wir erst einmal die richtigen Fragen. Otto, Schröder, Diekmann & Sander haben 2020 einige Forschungslücken und Desiderate identifiziert. Darunter der Einbezug etablierter Ansätze und Theorien der Bildungswissenschaft, der empirisch belegten Effekte der OER-Nutzung auf das pädagogische Handeln und die damit verbundene Veränderung der bestehenden Bildungspraxis. Hier könnte man wunderbar anknüpfen und eine öffentliche Übersicht aktueller Forschungsfragen zu OER unter Einbezug aller beteiligten Akteure erstellen. Damit sind u.a. Zivilgesellschaft, wie gemeinnützige Organisationen, die ihre Bildungsressourcen offen zugänglich machen oder welche für ihre Arbeit nutzen, sowie die OER-Communities, Bildungspolitik und Wissenschaft gemeint (vgl. (Bretschneider, Muuß-Merholz & Schaumburg 2012).

Eine weitere Idee besteht in der verstärkten Förderung für OER-Forschung und zwar nicht nur als Methode (Open Access), sondern als Forschungsgegenstand selbst, konkreter: Die Einrichtung von Forschungsgruppen, die breit sichtbar sind (weh mir, du schmerzlich vermisste OER-Map). 

Neben diversen Machbarkeitsstudien (vgl. Blees et al. 2016), Frameworks (vgl. Armellini & Nie 2013; Nikoi, Rowlett, Armellini & Witthaus 2011) und Kategorisierungen von OER (vgl. Kerres & Heinen 2015; Otto, Schröder, Diekmann & Sander 2020) bräuchte es die Entwicklung von OER-Erhebungsinstrumenten, also eine Sammlung von wissenschaftlich fundierten Fragen, die jeweils einem Thema (Konstrukt) zugeordnet werden können. 

Das zahlt auf mindestens zwei langfristige Möglichkeiten ein: Die bestehenden Definitionen von OER, die sich teilweise unterscheiden (Armellini & Nie 2013; Bretschneider, Muuß-Merholz & Schaumburg 2012), können durch diese Instrumente als wissenschaftlicher Konsens abgebildet werden und zur Systematisierung der OER-Forschung beitragen. Darüber hinaus können die Wirkungen von OER über die Zeit nachvollzogen werden (Längsschnitt).

1 Wunschkonzert

Forschung zu OER gibt es vor allem im Hochschulbereich (Otto, Schröder, Diekmann & Sander 2020; Bretschneider, Muuß-Merholz & Schaumburg 2012), dabei wären die Wirkungen von OER besonders im Kontext von Grund- und weiterführenden Schulen interessant. Denn das hier vermittelte Wissen ist deutschlandweit ähnlicher und die Schulklassen heterogener als z.B. ein Seminar über Literatur der Spätromantik an einer Universität (Dumont, Maaz, Neumann & Becker 2014). 

Wirkungen können von verschiedenen Akteuren als positiv oder negativ empfunden werden, und der Einbezug von Forschungsergebnissen zu Wirkungen in politische Entscheidungsprozesse ist u.a. vom Auftraggeber abhängig. Deswegen sollte Wirkungsforschung möglichst unabhängig finanziert und durchgeführt werden. Inwiefern Forschungsergebnisse in Politik und Praxis einbezogen werden, kann daneben durch Wissenschaftskommunikation beeinflusst werden. 

Apropos: OER sind ein interdisziplinäres Thema und Forschung dazu betrifft viele und verschiedene Zielgruppen (Krug 2019; Bretschneider, Muuß-Merholz & Schaumburg 2012; van Ackeren et al. 2011). Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung sollte idealerweise über die wissenschaftliche OER-Filterblase hinausgehen und von der Forschung für verschiedene Zielgruppen zugänglich gemacht werden. Das bedeutet, wissenschaftliche Ergebnisse nicht nur mit einer offenen Lizenz im Internet hochzuladen, wo es vor allem andere Wissenschaftler:innen erreicht, sondern zusätzlich dafür zu sorgen, dass die Informationen für verschiedene Zielgruppen aufbereitet werden, z.B. indem mehrere Sinne angesprochen werden, die Ergebnisse in Podcasts diskutiert oder in einer öffentlichen Diskussion vorgestellt werden. So können Transparenz und Partizipation an der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis gefördert werden. 

Mit der Forschung allein ist es nicht getan, es fehlen evidenzbasierte Handlungsempfehlungen und Implementationsstrategien, die aus den Forschungsergebnissen abgeleitet werden können (Otto, Schröder, Diekmann & Sander 2020) und die bisher nur vereinzelt und für sehr spezifische Kontexte vorliegen (z.B. Heimstädt & Dobusch 2017). Hierfür braucht es eine (öffentliche) Diskussion zwischen Wissenschaft, Politik und Bildungspraxis. 

Und zu guter Letzt: Ich greife hier meinen Artikel von 2020 bei OERinfo auf, der den Titel “Wirkungsforschung zu OER” trägt. OER sind ein Teil von Open Educational Practices, kurz: OEP (vgl. Bellinger & Mayrberger 2019; Cronin & MacLaren 2018), die offene Pädagogik (Wiley & Hilton 2018; Armellini & Nie 2013), offene Software und vieles mehr (Bretschneider, Muuß-Merholz & Schaumburg 2012) umfassen. Während OER den öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs über Jahre hinweg dominierten, wird sich zunehmend in Richtung OEP orientiert und das sollte auch in der Wirkungsforschung Beachtung finden.

Soweit von meiner Seite. Was sind eure Gedanken, Ideen, Fragen und Wünsche an die Wirkungsforschung zu OER und OEP? 

Quellen

Bellinger, F., & Mayrberger, K. (2019). Systematic Literature Review zu Open Educational Practices (OEP) in der Hochschule im europäischen Forschungskontext. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung. https://doi.org/10.21240/mpaed/34/2019.02.18.X.

Blees, I., Hirschmann, D., Kühnlenz, A., Rittberger, M., Schulte, J., Cohen, N., Massar, T., Heinen, R., Kerres, M., Scharnberg, G., & Khenkitisack, P. (2016). Machbarkeitsstudie zum Aufbau und Betrieb von OER-Infrastrukturen in der Bildung (Stand: Februar 2016). Frankfurt a. M. Verfügbar unter: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0111-pedocs-117154 [letzer Zugriff am 02.08.2023].

Bliss, T. J., Hilton III, J., Wiley, D., & Thanos, K. (2013). The cost and quality of open textbooks: Perceptions of community college faculty and students.

Bretschneider, M., Muuß-Merholz, J., & Schaumburg, F. (2012). Open Educational Resources (OER) für Schulen in Deutschland. Whitepaper zu Grundlagen, Akteuren und Entwicklungsstand im März 2012.

Cronin, C., & MacLaren, I. (2018). Conceptualising OEP: a review of theoretical and empirical literature in Open Educational Practices. Open Praxis, 10(2), 127–143. https://doi.org/10.5944/openpraxis.10.2.825.

Dumont, H.; Maaz, K.; Neumann, M.; Becker, M.: Soziale Ungleichheiten beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I. Theorie, Forschungsstand, Interventions- und Fördermöglichkeiten. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 17 (2014) Suppl.24, S. 141-165. DOI:10.25656/01:12370; 10.1007/s11618-013-0466-1. 

Gerecht, M.; Steinert, B.; Klieme, E.; Döbrich, P.: Skalen zur Schulqualität. Dokumentation der Erhebungsinstrumente. Pädagogische Entwicklungsbilanzen mit Schulen (PEB). Frankfurt, Main: GFPF u.a. 2007.

Graebsch, C. M. (2018). What works? Who cares? Evidenzorientierte Kriminalprävention und die Realität der Jugendkriminalpolitik. Handbuch Jugendkriminalität: Interdisziplinäre Perspektiven, 197-216.

Heimstädt, M. & Dobusch, L. (2017). Perspektiven von Open Educational Resources (OER) für die (sozio-)ökonomische Bildung an Schulen in NRW und in Deutschland.

Kerres, M., & Heinen, R. (2015). Open informational ecosystems: the missing link for sharing educational resources. International Review of Research in Open and Distance Learning, 16(1), 24–39. https://doi.org/10.19173/irrodl.v16i1.2008.

Krug, R. (2019). Aspekte von Open Educational Resources vor dem Hintergrund der Ökonomisierung des Bildungssektors. Verfügbar unter: https://core.ac.uk/download/pdf/270293518.pdf [zuletzt eingesehen am 02.08.2023].

Lechtenbörger, J. (2019). Erstellung und Weiterentwicklung von Open Educational Resources im Selbstversuch. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung. https://doi.org/10.21240/mpaed/34/2019.03.02.X. 

Nikoi, S. K., Rowlett, T., Armellini, A., & Witthaus, G. (2011). CORRE: a framework for evaluating and transforming teaching materials into open educational resources. Open Learning: The Journal of Open, Distance and e-Learning, 26(3), 191-207.

OERinfo – Informationsstelle OER: Was ist OER? https://open-educational-resources.de/was-ist-oer-3-2/ [letzter Zugriff am 02.08.2023]. 

Orr, D., Neumann, J., & Muuß-Merholz, J. (2017). German OER practices and policy—from bottom-up to top-down initiatives. Moskau: UNESCO Institute for Information Technologies in Education.

Otto, D. (2019). Adoption and diffusion of open educational resources (OER) in education: a meta-analysis of 25 OER-projects. International Review of Research in Open and Distance Learning, 20(5), 122–140. https://doi.org/10.19173/irrodl.v20i5.4472. 

Otto, D. (2020a). „Grosse Erwartungen: Die Rolle Von Einstellungen Bei Der Nutzung Und Verbreitung Von Open Educational Resources“. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie Und Praxis Der Medienbildung 2020 (Occasional Papers), 21-43. https://doi.org/10.21240/mpaed/00/2020.02.26.X.

Otto, D. (2020b). Offene Bildungsmaterialien in der Schule für das Lehren und Lernen in der digitalen Welt: Cui bono? In K. Kaspar, M. Becker-Mrotzek, S. Hofhues, J. König & D. Schmeinck (Hrsg.), Bildung, Schule, Digitalisierung (S. 77–82). Münster: Waxmann. https://doi.org/10.31244/9783830992462. 

Sager, F., Hadorn, S., Balthasar, A., & Mavrot, C. (2021). Die Entstehung und Etablierung der Wirkungsforschung. In Politikevaluation: Eine Einführung (pp. 39-64). Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

UNESCO – Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (2013). Was sind Open Educational Resources? Und andere häufig gestellte Fragen zu OER. Bonn. Verfügbar unter: https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-04/Was_sind_OER__cc.pdf [letzter Zugriff am 02.08.2023].

van Ackeren, I., & Zlatkin-Troitschanskaia, O. (2011). Evidenzbasierte Schulentwicklung: Ein Forschungsüberblick aus interdisziplinärer Perspektive. DDS–Die Deutsche Schule, 103(2), 170-184.

Wiley, D. A., & Hilton, J. (2018). Defining OER-enabled pedagogy. International Review of Research in Open and Distance Learning, 19(4), 133–147. https://doi.org/10.19173/irrodl.v19i4.3601.

Zeuner, C., & Pabst, A. (2020). Wirkungen von Bildungsprozessen: messbar oder nachweisbar?. Messbarkeit von Bildungseffekten: Potenziale-Widersprüche-Schieflagen.

Blogpost: Hard facts über Software

Wissenschaft, Forschung und Lehre an Hochschulen braucht Software, die verlässlich funktioniert – von Campus- und Lernmanagementsystemen über Statistiksoftware bis hin zum einfachen Mailprogramm. Für etablierte Softwareanwendungen werden deswegen hochschulseitig bundesweit Lizenzverträge in Höhe von mehreren Millionen Euro geschlossen. Dennoch stellen stark variierende Bedarfe und mangelnde Kompetenzen auf seiten der Anwender*innen/Nutzer*innen sowie unzureichender IT-Support noch immer eine große Herausforderung für Hochschulen und deren Mitarbeitende und Studierende dar. 

Schon länger wird auch vor diesem Hintergrund das Thema Freie- und Open-Source-Software (kurz: FLOSS oder OSS) diskutiert – im Rekurs auf die rasante Digitalisierung von Strukturen während Corona stärker denn je. 

Öffentliche Gelder für offene Software – so lautet eine bekannte Forderung der Open-Source-Bewegung. Aber wie liegt der Status Quo?

Stand 2022 optieren die meisten öffentlichen Hochschulen mit proprietären Anbietern, kommerzielle Software führt die Liste der genutzten Dienste mit 53% an – zu 31% Open-Source-Lizenzen (vgl. Ergebnisse der Umfrage des ZKI-Arbeitskreises Strategie und Organisation zu Softwarelösungen an den Hochschulen 2022 https://zenodo.org/record/7194328#.ZCcQcHZBy5e). Lernmanagementsysteme basieren mittlerweile vermehrt auf Open-Source-Lösungen anstatt auf Campus-Management-Software und Office-Produkten, für Videokonferenzen steht eine weit verbreitete Nutzung von Zoom Open-Source-Systemen wie BigBlueButton oder Jitsi entgegen, offene Dienste wie Nextcloud konkurrieren mit Komplettlösungen wie Microsoft Teams, das inklusive Datenbank zunehmend für die interne Zusammenarbeit eingesetzt wird (vgl. zB hier: https://blogs.tu-berlin.de/datenschutz_notizen/2022/05/13/digitale-souveraenitaet-von-hochschulen/ und hier https://taz.de/Open-Source-Software-an-Universitaeten/!5686650/.

Freie Software für freie Bildung

Wie können also öffentliche Gelder am sinnvollsten für Software eingesetzt werden? Wie müssen, dürfen und sollten insbesondere öffentlich-rechtliche Hochschulen mit personenbezogenen und vertraulichen Daten umgehen, welchem System dürfen diese anvertraut werden? Welche Rolle spielt die Freiheit der Wissenschaften vor dem Hintergrund von Softwarelösungen? Welche Verantwortung tragen Hochschulen, auch gesellschaftlich mit Blick auf das Einsetzen bestimmter Software-Anwendungen? Und welche Konzepte und Kriterien zu Vergabe und Anschaffung gibt es hier bereits? Mithilfe eines Softwaremonitorings öffentlich-rechtlicher Hochschulen wollen wir in den kommenden Monaten den Status Quo erfassen, um davon ausgehend Ansätze zu erarbeiten, die notwendige Kriterien für die Einführung und Nutzung offener Software an Hochschulen in den Blick nehmen.

Erste vielversprechende Einblicke über die Nutzung unterschiedlicher Software-Kategorien hat die zuvorzitierte Umfrage des ZKI-Arbeitskreises “IT-Strategie und -Organisation” bereits ergeben, wir möchten noch einen Schritt weiter gehen und das Feld explorativ erfassen: Neben der quantifizierbaren Abfrage von eingesetzter Software bei den IT- und Rechenzentren wollen wir stärker auf die tatsächlichen Nutzenden in Verwaltung, Forschung und Lehre zugehen und mithilfe von leitfragengestützten Interviews qualitativ ergründen, nach welchen Vorgaben und Kriterien Software ausgewählt und eingesetzt wird. Der alleinige Blick auf die Rechenzentren scheint hier zu kurz gegriffen, um tatsächlich zu erfassen, wie sich die Lage an deutschen Hochschulen darstellt, mit welchen Dilemmata und Hürden Mitarbeitende zu kämpfen haben, müssen wir mit handelnden, verantwortlichen Personen an den Fakultäten ins Gespräch kommen.

Fakt ist: Nach einem ersten repräsentativen Monitoring der öffentlichen Hochschulen in Deutschland wird im Rahmen unserer Vorrecherchen deutlich, dass für Studierende und Mitarbeitende vor allem im Bereich der kommerziellen Anbieter breite Softwareangebote vorgehalten werden. Trotzdem entsteht der Eindruck, kein ganz umfassendes Bild bekommen zu können, wir vermuten eine hohe Dunkelziffer an OSS-Nutzenden im Hochschulbereich – vor allem im Rahmen von Lehre und Forschung. Denn  diese Software ist frei und meist kostenlos zugänglich , sodass diese im Gegensatz zu teuren Lizenzen, die offiziell bereitgestellt werden, nicht durch Datenschutzbeauftragte abgesegnet oder in Rechenzentren beschafft werden muss. 

Eine weitere Vermutung, der wir nachgehen möchten, ist die Korrelation zwischen Gründungsjahr der Hochschule, Studierendenzahl und die Art gewählter Software-Lizenzmodelle; ältere und größere Hochschulen scheinen auf den ersten Blick weniger flexibel in Bezug auf Software-Umstellungen in Richtung Open-Source, vermutlich, da Change-Management und Umstrukturierungen sehr viel aufwendiger sind und mehr Ressourcen binden. 

Vorläufig lässt sich festhalten, dass kommerzielle Software häufig genutzt wird, weil direkte Ansprechpartner*innen mit Blick auf Verträge und Support verfügbar sind. Zudem herrscht noch immer der Irrglaube, die Kosten sagten etwas über Qualität aus. Hinzu kommt das vielfach wiederholte Narrativ des intuitiven Nutzens: “Es funktioniert einfach!”. Letztlich muss dieses als selbsterfüllende Prophezeiung gelesen werden, denn wo Mittel verfügbar sind, werden diese eingesetzt, um Nutzung und Umfang zu vereinfachen und zu verbessern – derzeit trifft dies eben vor allem auf den kommerziellen Sektor zu. 

Nicht nur der Datenschutz ist im Bereich der Abhängigkeit von proprietären Anbietern vielfach problematisch, auch das Engführen des Feldes für Studierende füttert den Teufelskreis: Lerne ich im Studium statistisches Rechnungen ausschließlich in IBMs SPSS, werde ich auch in Zukunft eher keine Alternative nutzen. 

Schließlich geben Hochschulen mit dem Festhalten an kommerziellen Lizenzen das auf, wofür sie an anderen Stellen nachdrücklich einstehen: Freiheit. FLOSS ist, einmal etabliert, in der Regel nicht nur günstiger in Anschaffung und Hosting, sondern auch nachhaltiger, unabhängiger und bietet einen viel größeren Gestaltungs- und Anpassungsspielraum.

Kurz gesagt: Freie Software fördert freie Lehre und freie Lehre fordert freie Software! 

Ihr habt Lust, unser Vorhaben zu unterstützen? Dann meldet euch bei uns!

Nächste Woche stellen wir im Rahmen des University:Future Festivals unsere Idee detailliert vor und geben Einblicke in erste Ergebnisse unserer Untersuchung. Der Talk findet online statt und die Anmeldung ist kostenlos. Schaut gern rein und beteiligt euch an der Diskussion am 27. April 2023 von 15.50 Uhr -16.20 Uhr. 

Toolsammlungen– eine Übersicht von Übersichten

Mittlerweile gibt es so viele digitale Tools, Apps, Programme und Plattformen für digitales Lehren und Lernen, dass die Auswahl schwer fallen kann. Kommentierte Übersichten, Websites und Toolboxes sollen diese Auwahl erleichtern und Anwendungen besser auffindbar machen. Wir haben einige davon ausprobiert und miteinander verglichen

  1. FindMyTool

FindMyTool entstand als kollaboratives Tool auf Github und umfasst Stand heute über 800 Tools. Die filterbare Sammlung in Form von Kacheln ist auf Deutsch verfügbar, wird stetig erweitert und aktualisiert und lässt Vorschläge zu. Die Nutzung ist kostenlos und ohne Anmeldung möglich.

2. Digitale Tools – Eine Übersicht

Die Liste von bildung.digital richtet sich speziell an Schulen und Lehrkräfte und ist nach Anwendungsgebieten organisiert. Es werden nur Tools vorgestellt, die von der Redaktion empfohlen werden. Die Liste ist kostenlos und ohne Anmeldung auf Deutsch verfügbar.

3. Portal:Tools

Portal:Tools ist von der Martin Luther Universität Halle für die Hochschullehre als filterbare Tabelle konzipiert und stellt eine große Auswahl entsprechender Tools auf Deutsch vor. Es besteht die Möglichkeit Tools vorzuschlagen und die Nutzung ist kostenlos ohne Anmeldung möglich.

4. Tool-Sammlung

Die digitale Toolsammlung vom Hochschulforum Digitalisierung ist das Ergebnis einer Community-Umfrage. Die Liste umfasst eine Auswahl von Tools für Online-Veranstaltungen und ist nach Anwendungsgebieten organisiert. Die Liste ist kostenlos und ohne Anmeldung auf Deutsch verfügbar.

5. AlternativeTo.net

Auf der Crowd-Sourced Website AlternativeTo.net kann man gezielt nach Alternativen zu einem bestimmten Tool suchen. Die Website zeigt Beschreibungen und Nutzerkommentare zu den einzelnen Tools an und lässt die gelieferte Übersicht an Alternativen nach Plattform, Features und Lizenz filtern. Sie steht kostenlos und ohne Anmeldung auf Englisch zur Verfügung.

Diese Beispiele unterscheiden sich u.a. durch ihren Aufbau und ihre Schwerpunkte wie spezielle Themen oder Lehr-/Lernkontexte. Wir freuen uns über alle Lösungen, die dabei helfen, Tools auffindbar zu machen und sich bewusst und kriteriengeleitetet für oder gegen bestimmte Tools zu entscheiden.

Wie etliche andere OER-Projekte sind einige Übersichten durch Drittmittel finanziert bzw. durch eine Förderlinie befristet, sodass das Hosting evtl. nicht langfristig übernommen werden kann (man denke an die wunderbare OER Worldmap, die leider nicht mehr verfügbar ist). Mit dem Gedanken, eine Übersicht langfristig optimieren und administrieren zu können, ist die OESA-Toolbox im Mai 2020 während des Hackathons “Wir hacken das digitale Sommersemester” vom Hochschulforum Digitalisierung als ehrenamtlich organisiertes und unabhängiges Projekt entstanden. Sie ist als filterbare Übersicht angedacht, mit der gezielt nach Tools, Kategorien, Einstellungen und Funktionen gesucht werden kann. Fehlt ein Tool in der Übersicht, kann ohne Anmeldung und Tracking eine neue Zeile hinzufügt werden und wir ergänzen evtl. leer gebliebene Felder. Wir hosten die Toolbox in Deutschland und haben ergänzend ein Manual mit Ideen zur didaktischen Nutzung unter einer offenen Lizenz (CC-BY-SA) zur Verfügung gestellt.

Mit Blick in die Zukunft wollen wir dabei mitwirken, bestehende Angebote zu optimieren und Schnittstellen verfügbar zu machen. Wir sind z.B. gespannt, wie die nationale Bildungsplattform Lehrende und Lernende bei der Suche und Auswahl geeigneter Anwendungen beraten kann.

University:Future Festival – Open for discussion

Wohin bewegt sich die Hochschulbildung in diesen Zeiten? Wo entstehen Zukünfte, die für uns schon heute wegweisend sind? Wie vermisst sich die Hochschule auf dem Weg zur “Blended University” neu? Diesen und weiteren Fragen widmet sich das University:Future Festival 2021 vom 2. – 4. November 2021 unter dem Motto “Open for Discussion”, die größten Veranstaltung dieser Art im deutschsprachigen Raum. An drei Tagen werden Impulse gegeben und über Zukunftsthemen wie hybrides Lernen, Diversität, Künstliche Intelligenz und Future Skills diskutiert. OESA ist natürlich auch dabei!

Das Festival

Veranstaltet wird das University:Future Festival vom Hochschulforum Digitalisierung (HFD) in Partnerschaft mit der Stiftung Innovation in der Hochschullehre (StIL). Es richtet sich an alle, die sich mit Gegenwart und Zukunft akademischer Bildung beschäftigen: Lehrende, Studierende, Hochschulleitungen und -mitarbeitende; Aktivist*innen und Repräsentant*innen aus Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung; Künstler*innen und Wissenschaftler*innen; EdTech-Gründer*innen und Journalist*innen. Und zwar international: Das Festival mit über 350 Speaker*innen und hunderten Programmpunkten wird online auf Englisch und Deutsch stattfinden; die Teilnahme ist kostenlos.

Unser Programm: OPEN als Standard

Am 02. November sprechen wir über Openness als Gesamtkonzept, über Offenheit als die grundlegende Triebfeder aller sozialen Praktiken und über Open Source Software als eine globale Bewegung, die von Wissen und Bildung bis hin zum Urban Gardening reicht.

Erfahre mehr über die Bedeutung von Open Data, Open Knowledge, Open Education, Open Access und Co. für die Gesellschaft, das Bildungswesen und unsere Zukunft:

02.11.2021 17:30 Uhr Lightning Talk: Die Zukunft ist OPEN!

Programm, Tickets und weitere Informationen: https://festival.hfd.digital/de/ 

Zugang

Auf der Veranstaltungsplattform des Festivals lässt sich der Lightning Talk nachträglich noch eine Weile kostenlos angucken.

Auf dem YouTube-Kanal des Hochschulforum Digitalisierung ist unser Beitrag ebenfalls kostenlos verfügbar.

Die wichtigsten Inhalte und Erkenntnisse unseres Vortrags zum zukunftsfähigen Konzept “OPEN” haben wir im nächsten Artikel zum Nachlesen bereitgestellt.

Online-Hackathon “Wir hacken das Sommersemester 2020!”

Am 6. und 7. Mai 2020 haben über 900 Teilnehmer*innen ihre Energie, Ideen und Fähigkeiten gebündelt und in Arbeitsgruppen digitale Lösungen für die universitäre Lehre in Deutschland entwickelt. Das kostenlose Format wurde vom Hochschulforum Digitalisierung, dem KI-Campus und dem DAAD organisiert und fungiert als Pilot für den DigiEduHack im November. In den Rollen Hacker*in, Pat*in und Mentor*in fanden sich Gruppen zu Challenges, die einem der 15 Themenclustern zugeordnet waren:

 

    1. Qualifizierung & Support von Lehrenden

    1. Digitale Lehre in der Umsetzung

    1. Kollaboratives Arbeiten und Interaktion (synchron und asynchron)

    1. Digitale Tools und Datenschutz

    1. Digitale Prüfungen

    1. Digitale Studienberatung

    1. Digitales Campusleben

    1. Peer Support/Help-Seeking bei Studierenden

    1. Internationalisierung & Virtuelle Mobilität

    1. Praktische Studienanteile & Praxisprojekte

    1. Forschung

    1. Hochschulmanagement ( u. a. Change Prozess & Third Mission) 

    1. Digitale Studierendenbeteiligung

    1. Bildungsgerechtigkeit & Barrierefreiheit

    1. KI in der digitalen Hochschulbildung

Insgesamt sind 76 Projekte zustande gekommen, die nun auf incom öffentlich einsehbar sind. Kommuniziert wurde über die Plattform mattermost, dazu gab es einen gemeinsamen Einstieg und Abschluss via Youtube-Livestream. OESA e.V. hat in diesem Rahmen die Toolbox entwickelt, eine unabhängige und kollaborative Übersicht.

Offene Bildung an Hochschulen gestalten

Flipped Classroom. Was kann man sich darunter vorstellen?

Bisher wurde Wissen während universitärer Präsenzveranstaltungen vermittelt und die Anwendung des Wissens individuell und außerhalb der Hochschule erprobt. Beim wöchentlichen Input-Lunch im April 2020 wurde der durch die Digitalisierung bedingte Lernwandel näher beleuchtet, der auch im Hochschulkontext bermerkbar wird. Beispielsweise werden die Lernorte von Theorie und Anwendung vertauscht (´flipped`): Das theoretische Wissen eignen sich die Studierenden für sich allein vor der Lehrveranstaltung an, um dann gemeinsam lösungsorientiert und fallbasiert zu arbeiten. Auf diese Weise wird der Wissenstransfer ideal gestaltet, denn das interaktive Arbeiten während der Präsenzzeit kann den Lerneffekt steigern.

Sozialwissenschaftlerin Katharina Mosene stellte in diesem Zusammenhang etliche Möglichkeiten zur Gestaltung innovativer universitärer Lehre vor, von Live- Umfragen über interaktive Präsentationsformate bis hin zu kollaborativen Tools. Dabei griff sie auf ihre vielseitigen Erfahrungen zurück und illustrierte anhand von tatsächlich umgesetzten Lehr-/ Lernkonzepten die Effektivität und Sinnhaftigkeit von offener Hochschulbildung.

In der anschließenden Diskussion ergaben sich vor allem spezifische Fragen zu einzelnen Tools, der Konsens: Es gibt bereits eine Vielzahl außerordentlicher Tools, jedoch fehlt dazu meist das Wissen um die effektive Nutzung oder zumindest die Zeit, um sich damit eingehend zu befassen. An Universitäten mit e-Learning- Büros, eScouts oder Digital Officers ist das weniger der Fall- ein Appell an die Hochschulen!

Beim nächsten Input am 23.04.2020 von 12-13 Uhr geht es um offene Bildung speziell im Schulkontext, hier kann man sich zuschalten.

Die Präsentation zum Input ist hier zu finden. Wir bedanken uns bei Katharina Mosene für Ihren ermuternden Input.